geschrieben von Thomas Seiterich
Der deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl und beim Souveränen Malteserorden, Dr. Bernhard Kotsch, liefert am Tag drei der mit hervorragenden und hochrangigen vatikanischen Gesprächspartnern ausgestatteten Recherchereise (danke an Matthias Kopp!) das Framing für die Begegnungen: Deutschland ist im Vatikan und in der von Rom geleiteten Weltkirche im Zustand des Rückzugs. Diesen kann man auch als Niedergang bezeichnen.
Die beiden an der römischen Kurie derzeit noch präsenten deutschen Bischöfe stehen für jeweils extreme Karrieren: der langjährige Papstsekkretär Erzbischof Georg Gänswein sowie der im Skandal aus dem Bistum Limburg geschiedene Franz-Peter Tebartz-van Elst. Beide sind weit entfernt vom reformerisch gestimmten Mainstream der deutschen Katholiken. Die deutschen Kardinäle Walter Kasper (Jahrgang 1933) und Walter Brandmüller (1929) sind selbst für vatikanische Verhältnisse hoch betagt.
Ein weiterer deutscher Kurienkardinal, Gerhard Ludwig Müller, betätigt sich als freier Radikaler meist fern von Rom. Er schied im Konflikt mit Papst Franziskus aus der Glaubenskongregation, die er fünf Jahre lang, bis 2017 leitete. Etwa zwanzig weitere deutsche Theologen sind darüber hinaus im Vatikan tätig. Bei den jüngsten Reformen der Kurie – etwa der fragwürdigen Zusammenlegung von Kultur- und Bildungskongregation – verloren Deutsche wichtige Ämter.
In den Bereich der Finanzen erweitert, ergänzt Dr. Maximino Caballero Ledo, der Präfekt des Sekretariats für die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Heiligen Stuhls, den Eindruck vom deutschen Niedergang. Der Spanier Ledo, der vor seinem Wechsel nach Rom als Finanzfachmann in Chicago arbeitete, erklärt im Gespräch mit der GKP, rund 90 Prozent der 22 Millionen Euro, mit denen die Kirchen in der Welt zur Finanzierung des Vatikans und seiner Aktivitäten beitrügen, stammten aus nur fünf Ländern. Dem Umfang nach aus den USA, aus Deutschland, Italien, Spanien und Südkorea. Italien sei dabei, mit seinem Finanzbeitrag das früher finanziell dominierende Deutschland zu überflügeln. Einen Beitrag von rund 4,1 Millionen Euro überweisen die deutschen Bischöfe, ergänzt um weitere rund 800000 Euro als Peterspfennig, jährlich nach Rom.
Eine weitere Facette des deutschen Niedergangs im Vatikan erklären die vor Ort tätigen Journalisten Annette Hilsenbeck, Leiterin des ZDF-Studio Rom, Stefan von Kempis von Radio Vatikan/Vatican News sowie Rüdiger Krohntaler vom ARD-Studio Rom. Die beiden namhaftesten Deutschen hätten breiten Ärger in der Kurie ausgelöst: Georg Gänswein mit seinem Buch „Nichts als die Wahrheit“ (so der deutsche Titel), das er gleich nach dem Tod von Papst emeritus Benedikt XVI. Anfang des Jahres zuerst in einem italienischen Verlag und dann bei Herder herausbrachte, sowie der hoch geachtete bayerische Jesuit und Fachmann für Prävention gegen sexuelle Gewalt, Hans Zollner, der mit Karacho die päpstliche Kinderschutzkommission verließ, dem Thema als Leiter des Anthropologischen Instituts aber weiter verbunden bleibt.
Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin nahm die Reisegruppe aus Deutschland mit auf eine problemorientierte Reise um die Erde. Er sprach über das heikel gewordene Verhältnis des Papstes zur Spitze der russischen Orthodoxie in aktueller Kriegszeit. Dasselbe tat aus theologischer Perspektive der für die Ökumene mit den Kirchen und das Verhältnis zu den Juden verantwortliche, schweizerische Ökumenekardinal Kurt Koch. Parolin gab auch Einblicke in das ebenso diffizile wie behutsame Verhältnis des Vatikans zur mächtigen Volksrepublik China sowie zur Kirche in Taiwan. Und er macht die römische Sicht auf den Synodalen Weg in Deutschland in knappen Worten klar.
Der Papst hat den Prozess der weltweiten Synode gestartet. Darüber berichtete der dafür zuständige maltesische Kardinal Mario Grech. In Rom hätten viele erwartet, bis zum Schlusstag der Weltsynode würden die deutschen Katholiken ihren Synodalen Prozess zeitlich zurückstellen. Dies geschah nicht. Zugleich wendete sich der Synodale Prozess mit seinen deutschen Reformbitten nach Rom – das aktuell doch mit der Weltsynode beschäftigt sei. Gemessen am deutschen Maßstab von disziplinierten Zentralkomitee-Diskussionen in parlamentarischen Stil nimmt sich die Weltsynode von Papst Franziskus höchst luftig, ja unklar aus. Kritische Stimmen verweisen auf die Amazonas-Synode von 2018. Sie war mit großem Aufwand vorbereitet und in Rom durchgeführt worden. Doch nach Sitzungsschluss fabrizierte Papst Franziskus ein Synodenergebnisdokument, in dem sich die vielen Bischöfe, die mehr Ämter für Frauen gefordert hatten, kaum wiederfanden.
Unklarheiten: Der Präfekt der Glaubensbehörde, Kardinal Luis Francisco Ladaria, ein Jesuit aus Mallorca. Der Theologe, der durch stille Nichtbefassung zahlreichen Befreiungstheologen ein fruchtbares Leben in der Kirche ermöglichte, ist praktisch schon im Ruhestand. Wie es weitergehen wird mit der Glaubenskongregation in einer extrem pluralen, konfliktiven Zukunft, weiß wohl nur der Heilige Geist. Kardinal Michael Czerny, ein Jesuit, der ganz offenbar besonders das Ohr des Papstes hat, legte als Zukunftsvorhaben für die Kirche einen Flyer vor, der von Greenpeace stammen könnte. So offenbar denkt sich die Franziskus-Fraktion unter den Kardinälen in aller Welt die Zukunft. Wird die katholische Kirche zu einer Art NGO? Das ist eine nicht beantwortete Frage.
Getroste Fröhlichkeit verbreiteten allein der Kommandant der Schweizer Garde, Christoph Graf, sowie der politische Generaldirektor der nach wie vor blühenden Laienorganisation Sant‘Egidio, Cesare Zucchoni. Braucht es in Zukunft wie in der Bundeswehr Schweizergardistinnen? Bewerbungen lägen bereits vor, sagt der Kommandant und lächelt ziemlich unmilitärisch. Und auch Schweizer Protestanten würden gerne in die seit einem halben Jahrtausend rein katholische Truppe eintreten. Alles in allem: Die Garde wird trotz akuten Nachwuchsmangels jeden Papst auch künftig begleiten, auch in No-Go-Länder wie die Zentralafrikanische Republik. Und Sant‘Egidio macht politischen Druck für die Flüchtlinge, die mittels „Humanitärer Korridore“ nach Italien und Belgien geholt werden. Und ja, auch im Chaos des Sudan sind aktuell Sant‘Egidio-Mitglieder diskret im Auftrag des Herrn unterwegs – mitten im Krieg.